Als die Zeitzeugen aus der Gedenkstätte Moritzplatz am
Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium auftauchen, ist es 14:45 Uhr. Der neunte
Januar ist genau wie alle anderen Januartage bisher kalt und verschneit. Die
warme und entspannte Atmosphäre im Raum scheint nicht nur uns die Aufregung
über das bevorstehende Interview zu nehmen.
Das Zeitzeugeninterview ist aber nur ein Teil eines größeren
Projektes. Ines Neumann und Romana Myslitzka, die ehrenamtlich für GoEurope
tätig sind, haben dieses Projekt ins Leben gerufen. Vom 02. bis 07. März dieses
Jahres soll in Bulgarien ein Austausch, ein „Youth Exchange“ stattfinden. Dabei
treffen sich jeweils zehn Schüler aus Bulgarien und Lettland, sowie die
insgesamt neun Schüler des Wolmirstedter Gymnasiums, um gemeinsam über die
entweder gegebenen oder eben nicht gegebenen Freiheiten „damals“ zu diskutieren
und neue Erfahrungen zu machen. Die Zeitzeugenbefragung dient dazu, bei diesem
Austausch Material vorzeigen zu können, um so effektiv über die Zustände in
Deutschland in der Nachkriegszeit informieren zu können. Frau Franke, eine
Lehrerin am Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium und Leiterin des
Debattierclubs, der den Großteil der mitwirkenden Schüler ausmacht, koordiniert
und organisiert den Austausch, zusammen mit den beiden Studentinnen von GoEurope.
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Eröffnung und Vorstellung der Anwesenden |
Nachdem sich die zwei Zeitzeugen und drei Verantwortlichen
der Gedenkstätte Moritzplatz bei kurzem Kaffee-Klatsch schon ein wenig mit den
Schülern bekannt gemacht hatten, begrüßte Frau Franke die Anwesenden offiziell.
Nun waren Frau Neumann und Frau Myslitzka an der Reihe. Sie stellten zuerst
sich selbst und danach das Projekt im Ganzen vor. Aber natürlich durften auch
die Jugendlichen und Zeitzeugen nicht fehlen. Zunächst stellte sich jeder
Schüler kurz vor. Sie erzählten unter anderem, was sie tun, wenn sie sich nicht
gerade für solche Projekte engagieren oder wie sie dazu gekommen sind, bei dem
Programm mitzuwirken. Die Zeitzeugen stellten sich als Ralph-Peter Klingenberg
und Escamillo Grünheid vor. Danach wurde die Gruppe auf zwei Räume aufgeteilt.
So wurden die Zeitzeugen zeitgleich in verschiedenen Räumen, von den Schülern
des Gymnasiums interviewt.
Der Schwerpunkt der Interviews handelte von Freiheit
und Menschenrechten. Die Zeitzeugen erzählten frei heraus, was ihnen damals, in
der DDR, widerfahren ist.
Klingenberg beispielsweise, 1956 geboren, war Sohn von zwei
Mitgliedern der Partei. Er lebte also in einem noblen Viertel, anders als seine
Mitschüler. Trotzdem bildete sich bei ihm im Laufe der Jahre die Meinung
heraus, dass das System zur damaligen Zeit nicht das war, wofür es immer
ausgelegt wurde. Klingenberg war aber nicht gegen den Sozialismus in der DDR,
er dachte lediglich, dass man ihn von innen heraus verändern könnte. Mit 14
Jahren wuchs sein Interesse an westlicher Musik, Kunst und Dichtung. Er ließ
sich lange Haare wachsen, als Zeichen des Protestes und wurde Mitglied eines
Jugendclubs. Doch Intellektuelle waren gefährlich. Als er mit zwei Freunden ein
Flugblatt gestaltete, das das System der DDR kritisierte und hinterfragte,
holte ihn die Kriminalpolizei am nächsten Morgen ab.
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Flugblatt von Klingenberg |
Danach befand er sich acht Monate in
Untersuchungshaft und später in zahlreichen Gefängnissen, u.a. auch im
Stasi-Knast Moritzplatz in Magdeburg. Grünheid, der in Erfurt geboren wurde
und seine Kindheit auch im Westen verbrachte, zog erst später in den Osten. Er
arbeitete später bei Kali-Salz Zielitz. Grünheid bekam als Jugendlicher, halb
Erwachsener, Angebote, um beispielsweise Bürgermeister von Schwanebeck zu
werden, doch dafür musste er den Kontakt zum Westen beenden, also auch zu
seiner Mutter. Dadurch wurde sein Drang nach der Flucht aus der DDR verstärkt.
Ein Schulfreund, der ihn schon in den Jahren zuvor immer besuchte und in den
Westen zurückholen wollte, sollte also für ihn die Flucht vorbereiten. Doch die
Flucht scheiterte, da die Stasi diesen Schulfreund bereits unter Beobachtung
hatte. Er und seine Frau wurden von seinen zwei Kindern getrennt. Als die Stasi
im Knast androhte, seine Frau das Kind in Haft gebären zu lassen, wenn er nicht
seine Mitgefangen bespitzelte, musste er den „Vertrag“ annehmen.
Die Zeitzeugen erzählten
noch viel detaillierter über ihre Schicksale, über die Verhältnisse in der DDR,
über die Reisefreiheit, über den Knast. Wir können von Glück reden, dass diese
Epoche vorüber ist. Heute ist so etwas für die meisten Menschen nur noch
bedingt vorstellbar. Doch wir sollten uns auch mit der Vergangenheit
beschäftigen und sie nicht ignorieren, zumal diese Verhältnisse zum Teil immer
noch auf unserer Erdkugel vorkommen.
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Gemütliche Runde und viele Notizen |
Link zum Artikel der Volksstimme: Klick mich