Dienstag, 29. Januar 2013

Zeitzeugengespräche - Jugend diskutiert über die Vergangenheit

Als die Zeitzeugen aus der Gedenkstätte Moritzplatz am Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium auftauchen, ist es 14:45 Uhr. Der neunte Januar ist genau wie alle anderen Januartage bisher kalt und verschneit. Die warme und entspannte Atmosphäre im Raum scheint nicht nur uns die Aufregung über das bevorstehende Interview zu nehmen.


Das Zeitzeugeninterview ist aber nur ein Teil eines größeren Projektes. Ines Neumann und Romana Myslitzka, die ehrenamtlich für GoEurope tätig sind, haben dieses Projekt ins Leben gerufen. Vom 02. bis 07. März dieses Jahres soll in Bulgarien ein Austausch, ein „Youth Exchange“ stattfinden. Dabei treffen sich jeweils zehn Schüler aus Bulgarien und Lettland, sowie die insgesamt neun Schüler des Wolmirstedter Gymnasiums, um gemeinsam über die entweder gegebenen oder eben nicht gegebenen Freiheiten „damals“ zu diskutieren und neue Erfahrungen zu machen. Die Zeitzeugenbefragung dient dazu, bei diesem Austausch Material vorzeigen zu können, um so effektiv über die Zustände in Deutschland in der Nachkriegszeit informieren zu können. Frau Franke, eine Lehrerin am Kurfürst-Joachim-Friedrich-Gymnasium und Leiterin des Debattierclubs, der den Großteil der mitwirkenden Schüler ausmacht, koordiniert und organisiert den Austausch, zusammen mit den beiden Studentinnen von GoEurope.


Eröffnung und Vorstellung der Anwesenden


Nachdem sich die zwei Zeitzeugen und drei Verantwortlichen der Gedenkstätte Moritzplatz bei kurzem Kaffee-Klatsch schon ein wenig mit den Schülern bekannt gemacht hatten, begrüßte Frau Franke die Anwesenden offiziell. Nun waren Frau Neumann und Frau Myslitzka an der Reihe. Sie stellten zuerst sich selbst und danach das Projekt im Ganzen vor. Aber natürlich durften auch die Jugendlichen und Zeitzeugen nicht fehlen. Zunächst stellte sich jeder Schüler kurz vor. Sie erzählten unter anderem, was sie tun, wenn sie sich nicht gerade für solche Projekte engagieren oder wie sie dazu gekommen sind, bei dem Programm mitzuwirken. Die Zeitzeugen stellten sich als Ralph-Peter Klingenberg und Escamillo Grünheid vor. Danach wurde die Gruppe auf zwei Räume aufgeteilt. So wurden die Zeitzeugen zeitgleich in verschiedenen Räumen, von den Schülern des Gymnasiums interviewt. 

Der Schwerpunkt der Interviews handelte von Freiheit und Menschenrechten. Die Zeitzeugen erzählten frei heraus, was ihnen damals, in der DDR, widerfahren ist.
Klingenberg beispielsweise, 1956 geboren, war Sohn von zwei Mitgliedern der Partei. Er lebte also in einem noblen Viertel, anders als seine Mitschüler. Trotzdem bildete sich bei ihm im Laufe der Jahre die Meinung heraus, dass das System zur damaligen Zeit nicht das war, wofür es immer ausgelegt wurde. Klingenberg war aber nicht gegen den Sozialismus in der DDR, er dachte lediglich, dass man ihn von innen heraus verändern könnte. Mit 14 Jahren wuchs sein Interesse an westlicher Musik, Kunst und Dichtung. Er ließ sich lange Haare wachsen, als Zeichen des Protestes und wurde Mitglied eines Jugendclubs. Doch Intellektuelle waren gefährlich. Als er mit zwei Freunden ein Flugblatt gestaltete, das das System der DDR kritisierte und hinterfragte, holte ihn die Kriminalpolizei am nächsten Morgen ab.

Flugblatt von Klingenberg

Danach befand er sich acht Monate in Untersuchungshaft und später in zahlreichen Gefängnissen, u.a. auch im Stasi-Knast Moritzplatz in Magdeburg. Grünheid, der in Erfurt geboren wurde und seine Kindheit auch im Westen verbrachte, zog erst später in den Osten. Er arbeitete später bei Kali-Salz Zielitz. Grünheid bekam als Jugendlicher, halb Erwachsener, Angebote, um beispielsweise Bürgermeister von Schwanebeck zu werden, doch dafür musste er den Kontakt zum Westen beenden, also auch zu seiner Mutter. Dadurch wurde sein Drang nach der Flucht aus der DDR verstärkt. Ein Schulfreund, der ihn schon in den Jahren zuvor immer besuchte und in den Westen zurückholen wollte, sollte also für ihn die Flucht vorbereiten. Doch die Flucht scheiterte, da die Stasi diesen Schulfreund bereits unter Beobachtung hatte. Er und seine Frau wurden von seinen zwei Kindern getrennt. Als die Stasi im Knast androhte, seine Frau das Kind in Haft gebären zu lassen, wenn er nicht seine Mitgefangen bespitzelte, musste er den „Vertrag“ annehmen.

Die Zeitzeugen erzählten noch viel detaillierter über ihre Schicksale, über die Verhältnisse in der DDR, über die Reisefreiheit, über den Knast. Wir können von Glück reden, dass diese Epoche vorüber ist. Heute ist so etwas für die meisten Menschen nur noch bedingt vorstellbar. Doch wir sollten uns auch mit der Vergangenheit beschäftigen und sie nicht ignorieren, zumal diese Verhältnisse zum Teil immer noch auf unserer Erdkugel vorkommen.


Gemütliche Runde und viele Notizen


Link zum Artikel der Volksstimme: Klick mich